Eindrücke von Dunia ya Heri nach zwei Jahren Abwesenheit
Die Küstenregion Tansanias südlich der Millionenstadt Dar es Salaam (Haus des Friedens) ist geprägt von einer wilden Schönheit (Bild 00).
Keine Hotelhochhäuser, keine überlaufenen Strände (01),
nur ein paar Fischer und ihre Boote prägen das Bild (02 a).
Im Vergleich zu Deutschland ist das Land dünn besiedelt. Auf einer Fläche, die fast dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik, leben nur 49 Millionen Menschen. Hier und da begegnet man noch Spuren der deutschen Kolonialvergangenheit (Deutsch-Ostafrika) – etwa in Form des Begriffs „Schule“, der Bestandteil der Landessprache Swahili geworden ist. (Es gibt neben Swahili und Englisch etwa 125 Stammessprachen.) Auch die Evangelisch-Lutherische Kirche (02 b),
die man schon vom Wasser aus in Dar es Salaam sieht, erinnert an eine Zeit, die 1918 endete. Nach dem verlorenen Krieg kam es unter britische Verwaltung, bis es 1961 seine Unabhängigkeit erlangte.
Im Landesinneren liegt der Anteil der Christen in der Bevölkerung bei 30 bis 40 Prozent – unter ihnen nicht wenige Lutheraner. Die restlichen 60 bis 70 Prozent sind – etwa zu gleichen Teilen – Muslime und Angehörige animistischer Naturreligionen. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Weil der Regierung die Frage nach der Religionszugehörigkeit zu brisant erscheint, wird diese bei Volksbefragungen seit den 1960er Jahren nicht mehr gestellt. An der Küste und auf der zu Tansania gehörenden Insel Sansibar gibt es deutlich mehr Muslime. In Sansibar machen sie 98 Prozent der Bevölkerung aus. Aber auch auf dem küstennahen Festland sind die meisten Menschen muslimischen Glaubens. Der hier seit Jahrhunderten betriebene Handel mit der arabischen Welt hat seine Spuren hinterlassen. Im Dorf Puna (03),
in dessen Nähe unser Waisenhausprojekt angesiedelt ist – etwa 50 km südlich von Dar es Salaam und rund einen Kilometer vom Indischen Ozean entfernt –, bewegt sich der Anteil der Muslime an der Bevölkerung bei 80 Prozent.
Vor fast genau zwei Jahren war ich beteiligt an der Kaufentscheidung eines Grundstücks, auf dem heute das Waisenhausprojekt Dunia ya Heri entsteht. Damals sahen Judith, Thomas und ich ein wildes und praktisch unberührtes Stück Buschland mit einigen verstreut gelegenen stattlichen Mango- und Affenbrotbäumen (Baobab) sowie Kokos- und Fächerpalmen. Außer einem am Grundstück vorbeilaufenden Feldweg, der von der unbefestigten Hauptstraße zum Strand führt, fehlten jegliche Spuren von Zivilisation: keine Wasser- und Abwasserversorgung, kein Strom, keine Felder, keine Wege – nicht einmal einfache afrikanische Hütten.
Als ich jetzt im September 2016 Judith auf einer Reise nach Tansania begleitete, stellte sich uns ein völlig anderes Bild dar: Hinter einem hohen Zaun scheint ein neues Dorf entstanden zu sein. Nach einer Biegung des Weges gibt das etwa drei Meter hohe Buschgras den Blick frei auf mehrere Makuti-Dächer (04),
den deutschen Strohdächern nicht ganz unähnlich. Bei der afrikanischen Variante werden getrocknete Blätter der Fächerpalme zu Matten geflochten und verarbeitet.
Durch den Rohbau des Pförtnerhauses, für das unser afrikanischer Freund Gasper während meines kurzen Aufenthalts ein Tor schweißte, kommen wir auf das Gelände. Thomas und Beate hatten uns mit dem über 10 Jahre alten Land Rover (19, bei dem gerade die Klimaanlage nicht funktionierte) vom Flughafen abgeholt.
Zu unserer Rechten sahen wir das Wohnhaus des Pförtners und Wächters (06, 07).
Es war das erste Gebäude auf dem Grundstück und schon – nach Absprache – von afrikanischen Freunden vor der Ankunft von Thomas und Beate errichtet worden. Hier stehen auch ein Militärzelt, in dem Thomas und Beate seit nunmehr über einem Jahr wohnen, sowie ein provisorischer Wasserturm. Auf dem kleinen Stückchen Wellblechdach über den zwei Duschen befinden sich Paneelen einer Fotovoltaik-Anlage. Sie versorgt die als Kühlschrank umfunktionierte Kühltruhe sowie einige (etwas funzelige) Lampen mit Strom.
Die Gebäude sind angelegt wie ein niederbayerischer Dreiseithof. Eingerahmt von dem Schlafgebäude mit zwei Zimmern (das eine wurde jetzt von Judith bewohnt, das andere von dem Pförtner-Ehepaar), dem küselschen Militärzelt und einem Gebäude mit Nasszellen (die besagten zwei Duschen, zwei Toiletten, eine offene Küche (10) und eine Speisekammer),
befindet sich ein begrünter Innenhof (08, 09).
Er ist im Moment das Zentrum des sozialen Lebens. Da man Kälte in diesen Breitengraden knapp südlich des Äquators praktisch nicht kennt und man meist dankbar ist für jeden frischen Luftzug, spielt sich das Leben meist im Freien ab – natürlich auch alle Malzeiten (11).
Dank der afrikanischen Sonne und gutem Wasser produziert die Natur vieles von dem, was man zum Leben braucht (12, 13).
Der Esstisch dient auch als Schreibtisch (14, 15)
und ist Treffpunkt für die zahlreichen Besucher, die trotz der beschwerlichen Anreise gerne vorbeizukommen scheinen. Beate sieht man meist in der Küche, wo sie, teilweise unterstützt von der Frau des Pförtners, phantastische frische Salate und eine schmackhafte vegane Mahlzeit nach der anderen zubereitet – und darüber hinaus die vierbeinigen Freunde und den gefiederten Hausgenossen mit versorgt (16).
Für die gut zwei Jahre alte männliche Deutsche Dogge gibt es inzwischen auch eine gut drei Monate alte weibliche Gefährtin. Hunde dieser Größe sind in Afrika praktisch unbekannt und flößen den Einheimischen einen Riesenrespekt ein – was natürlich auch vor Diebstahl schützt.
Neben den beiden Hunden gehören auch zwei Katzen und ein brasilianischer Arara (17) zu Thomas‘ Privatzoo (Max – oder wie man hier sagt, wo es keinen so harten Laut wie das „X“ in der Landessprache gibt: Mass).
Überraschend ist, dass alle Vierbeiner mit offensichtlich großem Appetit das gleiche Futter verspeisen: ein von Beate zubereitetes vorwiegend veganes Essen, bestehend aus Reis, Bohnen, Sellerie, gekochten und geriebenen rohen Karotten, Lachsöl, Bierhefe und vielleicht ein paar getrockneten Sprotten.
An die offene Garage (18),
die Zement, Schiebkarren und andere wasserempfindliche Baumaterialien und -geräte beherbergt (21)
und die nicht weit von dem Pförtner- und Wächter-Wohnhaus entfernt liegt, grenzt ein gut abschließbarer Stahlcontainer (22, 23).
Außerdem dient die Garage als Ort der allmorgendlichen Andacht (24).
Die Teilnahme ist natürlich freiwillig. Von den ca. 20 Arbeitern (rund die Hälfte sind Adventisten), die ich bei meinem Besuch auf der Baustelle des Waisenhauses (27) sah, nahm gut ein Dutzend an den Andachten teil.
Auch wenn die meisten Arbeiter zumindest ein wenig Englisch verstehen, arbeitet Thomas mithilfe eines Übersetzers (25).
Überaus eindrucksvoll präsentiert sich das erste von fünf Kinderhäusern (26).
Dieses Gebäude, das fast fertig ist, soll ein Hort für Säuglinge und Kleinkinder werden. Ursprünglich als Flachdachkonstruktion geplant, hat es jetzt ein stattliches Makuti-Dach mit einem großzügigen zweiten Stockwerk erhalten (35, 36).
Über einen Laubengang (mit stabilen Betonpfeilern), dessen Dach in Kürze mit Solarpaneelen bestückt wird, gelangt man in eine großzügige offene Lobby (28),
die zugleich als Speisesaal dienen soll (der Estrich sollte am Tag meiner Abreise gegossen werden). Von hier aus gelangt man auf eine offene Veranda sowie, auf der anderen Seite, zur Küche (wo gerade die Fliesen gelegt wurden), einem Abstellraum und den verschiedenen Zimmern.
Auch wenn es in Afrika durchaus qualifizierte und fleißige Handwerker gibt, sind fachliches Können und Einsatzfreude nicht immer selbstverständlich (29).
Häufige Arbeitsbesprechungen (30) und die Vermittlung konkreter Wünsche sind erforderlich.
Genaues Maßnehmen (beim Aufmaß vor Ort und bei der Herstellung von Bauteilen) ist nicht selbstverständlich. Entsprechend passen die Dinge auch nicht immer so, wie es sein sollte (31).
Aber irgendwie wird alles dann passend gemacht – auch wenn das bedeutet, dass ein gemauerter und verputzter Pfeiler zum Einpassen eines Holzgeländers mit Hammer und Meißel bearbeitet wird (statt das Holz abzuschleifen).
Wie sich bei unserer Besichtigung herausstellte, war der Wickeltisch im Säuglingsraum um einiges zu hoch geraten (32). (Er hätte wohl eher zwei Meter große Pflegemütter erfordert.)
Er war eingepasst worden, als Thomas und Beate gerade auf dem Weg zum Flughafen waren, um Judith und mich abzuholen. Doch mit einer Flex und ein wenig Mörtel war das Problem schnell behoben (33).
Richtige Schmuckstücke sind die Holzarbeiten aus afrikanischem Teak. Die Türen, Türrahmen, Küchenschränke, Fenster und Lamellen sind bereits eingebaut. Es fehlen noch die Fliegen- oder Mosquito-Gitter, für die bei meinem Besuch gerade die Rahmen gefertigt wurden. Die großflächigen offenen Fenster sorgen für stets willkommenen Durchzug und ein angenehmes Raumklima (34).
Glasscheiben sind nicht nötig. Die Nasszellen, d. h., die Räume mit den Duschen, Waschbecken und Toiletten sind gemauert und gefliest. Nur noch die Sanitärobjekte müssen eingesetzt werden.
Vom Obergeschoss aus (35, 36)
hat man einerseits einen Blick auf das Meer (37),
andererseits auf den Gemüsegarten (38),
der von Yese (39), dem Gärtner, kompetent angelegt wurde.
Yese ist gewissermaßen eine Leihgabe von Kibidula, einer Farm mit einer Ausbildungsstätte für Bibelarbeiter, das im Südwesten des Landes von einem selbstunterhaltenden adventistischen Missionswerk betrieben wird. Ebenso wie Dunia ya Heri gehört auch Kibidula zu OCI, den adventistischen Outpost Centers International.
Yese, der etwa im Zwei-Monats-Rhythmus zwischen den beiden Einrichtungen pendelt, versteht sein Handwerk (40, 41).
Er erklärte Judith und mir, wie er aus dem nährstoffarmen Boden fruchtbare Gartenerde macht. Unterstützt durch die klimatischen Bedingungen produziert er mit seinem Komposthaufen innerhalb von zwei bis vier Wochen guten Mutterboden. Selbst einen alten Mangobaum, der am Absterben war, brachte er mit seiner Kompostiermethode (42) wieder zum üppigen Leben zurück.
Um die jungen Gemüsepflanzen (und hier wächst wegen des günstigen Klimas fast alles) vor der sengenden Mittagssonne zu schützen, errichtete er zusammen mit seinen Helfern ein Holzgestell (43),
das dann mit Stroh bedeckt wurde. Außerordentlich schmackhafte Tomaten, die wirklich nach Tomaten schmecken, gehören zur täglichen Ernte (44-46).
Auch wenn der Strand nur sieben Gehminuten entfernt ist (47, 48),
kommen Thomas und Beate nur selten zum Schwimmen. Auch ich habe meine Badehose unbenutzt wieder einpacken müssen. Natürlich liegt das auch daran, dass der Tag (mit dem kostbaren Tageslicht) immer nur 12 Stunden lang ist und alle an diesem Waisenhaus-Projekt Beteiligten bemüht sind, die Zeit zu nutzen. Fast genau um sechs (als ich da war, um 6:11) geht die Sonne auf, und nur wenige Minuten nach 18 Uhr geht sie wieder unter – und zwar recht plötzlich.
Dunia ya Heri, die gesegnete Erde, hat innerhalb der letzten zwei Jahre eine erstaunliche Veränderung erfahren. Nur noch wenige Wochen, und die ersten Kinder können aufgenommen werden. Was jetzt noch dringend fehlt, sind ein richtiger großer Wasserturm und ein Haus für den Verwalter und seine Frau. Wenn wir an Camping denken, denken wir an Spaß und Urlaub – aber auch an eine begrenzte Zeit von nur einigen Tagen, höchstens Wochen. Thomas und Beate zelten jetzt seit über einem Jahr. Wir hoffen, dass sie vor Ablauf eines weiteren Jahres wieder ein richtiges Zuhause beziehen können. Ein Standort ist bereits ausgewählt.
Gerhard Padderatz